Hamster im hinteren Stromgebiet

von Joachim Meyerhoff

»Hamster im hinteren Stromgebiet« von Joachim Meyerhoff - Buchvover | Buchblog der Buchleserin

Zeit ist Hirn

Was passiert, wenn man durch einen gesundheitlichen Einbruch auf einen Schlag aus dem prallen Leben gerissen wird? Kann das Erzählen von Geschichten zur Rettung beitragen? Und kann Komik heilen?

Auszug des Klappentexts

Verirrt im hinteren Stromgebiet – nicht die Erzählung, die das Buchcover versprach

Nagetiere und Hirnwindungen

Manchmal darf meine Lektüre auch skurril sein, da war es kein Wunder, dass mir »Hamster im hinteren Stromgebiet« schon wegen des Titels ins Auge stach. Der Klappentext und die ersten Seiten des Buchs ließen mich schließlich zugreifen.
Dass es sich um den fünften Band einer sechsteiligen Reihe handelt, war mir zu dem Zeitpunkt nicht bekannt, ebenso wenig wie die Hintergründe des biografischen Romans. Aber dazu später mehr.

Über den Autor

Joachim Meyerhoff, Jahrgang 1967, wurde in Homburg im Saarland geboren und wuchs in Schleswig auf. Sein Vater hatte in der dortigen Universitäts-Nervenklinik eine Stelle als leitender Abteilungsarzt inne. Meyerhoff lebte mit seiner Familie auf dem Gelände der Klinik und verarbeitete seine Erlebnisse als Heranwachsender im zweiten Teil der Buchreihe »Alle Toten fliegen hoch«. Nach seiner Ausbildung zum Schauspieler und Stationen in verschiedenen Theatern wurde er 2005 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, 2019 wechselte er zur Berliner Schaubühne. Die ersten drei Romane seiner Reihe basieren jeweils auf Vorlagen, die Meyerhoff als Programm auf der Bühne präsentierte, die letzten drei entstanden ohne eine solche Vorlage.

Wenn das Schicksal zuschlägt

Es passiert am Küchentisch, während der Autor seiner Tochter bei einer Hausarbeit über Bipolarität hilft: Ihm wird übel, Sehstörungen stellen sich ein, das Bein fängt an zu kribbeln. Die eilends gerufene Rettung bringt Meyerhoff ins Krankenhaus, wo die Diagnose schnell feststeht: Schlaganfall. Mit Anfang 50. So findet er sich auf der Intensivstation wieder, zwischen weiteren Patienten mit ähnlichen Diagnosen unterschiedlicher Intensität.

Die Stunden, die sich um ihn herum ausdehnen, versucht er mit Erinnerungen an frühere Erlebnisse zu füllen. Die Geschichten helfen ihm bei der langsamen Genesung und machen ihm sein Umfeld erträglicher. Zwischen der täglichen Routine aus Krankenhausessen, Untersuchungen und Physiotherapie erfahren wir von der gemeinsamen Norwegenreise mit seinem Bruder und von der Afrikareise mit seiner Freundin. Und selbstverständlich verfällt Meyerhoff ins Sinnieren und Grübeln, wie es mit der Schauspielerei weitergehen kann, wenn die eine Hälfte seines Körpers nicht mehr das macht, was sie soll. Und was dieser Schlaganfall ganz grundsätzlich für ein Einschnitt in seinem Leben darstellt.

Zu wenig vom Wichtigen

Ich kann nur zu diesem einen Buch aus der sechsteiligen Reihe »Alle Toten fliegen hoch« von Joachim Meyerhoff meine Eindrücke und Gedanken wiedergeben. Die anderen Teile werde ich nicht lesen. Möglicherweise könnten diese mich mehr begeistern als »Hamster im hinteren Stromgebiet«, allerdings tue ich mich mit dem Buch in vielerlei Hinsicht schwer, so dass meine Reise durch die Buchreihe mit diesem einen Band endet.

Ganz sicher habe ich keinen autobiografisch eingefärbten Lebensratgeber erwartet, der Menschen mit Schlaganfällen wieder Kraft und Zuversicht vermittelt. Dazu spricht die Aufmachung des Buchs eine zu eindeutige Sprache. Trotzdem kommt die Thematik der Erkrankung für meine Begriffe zu kurz. Natürlich befasst sich der Autor intensiv mit den ersten Symptomen, den Ausfallerscheinungen seines Körpers, den Untersuchungen und den Maßnahmen, die zu seiner Genesung beitragen sollen. Die mentale Auseinandersetzung mit dem gesundheitlichen Extremereignis erscheint mir zwischen all den Anekdoten jedoch zu kurzgefasst.

Zu viel vom Ich

Stattdessen habe ich viel aus Meyerhoffs Biografie erfahren. Die eine oder andere lesenswerte Geschichte konnte mich dabei gut unterhalten, auch verfügt der Autor über einen sehr individuellen Humor, der mich hier und da schmunzeln ließ. Der Schreibstil weiß zu überzeugen und einen mitzureißen, ist sprachlich auf hohem Niveau.

Im weiteren Verlauf des Buchs wurden die Geschichten dann beliebiger und wirkten teilweise wie Füllmaterial zwischen dem Hauptstrang des Plots. Dieser schaffte es trotz des starken Beginns nur mit Mühe, mich beim Lesen zu halten, denn allzu oft ergeht sich die Erzählung in zu vielen Details, kommt nicht voran und ermüdet. Beispielsweise dauert es etwa fünfzig Seiten, bis der Schlaganfallpatient ins Krankenhaus eingeliefert wird, und in diese Seiten ist so ungemein viel Nebensächliches eingewoben, dass man sich als Lesende fragt, wann es endlich vorangeht.

Das wäre alles nicht schlimm, wenn sich Joachim Meyerhoff nicht permanent um sich selbst drehen würde. Natürlich geht es um ihn, er ist der Protagonist. Was mich wurmt, ist, wie sehr er sich über seine Mitmenschen erhebt. Wenn er es an verschiedenen Stellen auch schafft, über sich selbst zu lachen, so bleibt am Ende doch der Eindruck, dass der Autor sein Umfeld von oben herab betrachtet, mit einem spürbaren Maß an Geringschätzung.

Ein Wort zum Buchsatz

Was das Lesen von »Hamster im hinteren Stromgebiet« für mich zu einer Kraftanstrengung machte, war der unsägliche Buchsatz, den ich nur als Unfall bezeichnen kann. Mit dem Aufbrechen gewisser Konventionen kann ich umgehen, nicht jedes Buchinnere muss dem anderen gleichen. Aber warum verzichtet man seitenweise auf Absätze und hängt Satz um Satz aneinander?
Besonders schlimm empfinde ich dies bei den Abschnitten mit direkter Rede, in denen die Worte der Gesprächspartner bandwurmmäßig hintereinander gesetzt sind. Ist es eine Marotte des Autors, die er bei Verlag und Druckerei durchgesetzt hat, oder ein besonders kreativer Buchsetzer?
Ich werde zukünftig genauer auf solche Details in Büchern schauen müssen, bevor ich wieder zugreife.

Fazit: Zu viel vom Zuwenig

Wie gesagt, die anderen Bücher der Reihe sind eventuell überzeugender. »Hamster im hinteren Stromgebiet« ist für mich das Tagebuch eines Schlaganfallpatienten, der seinem Schicksalsschlag eine Bühne geben wollte, die für seinen Umgang damit einfach zu groß ist.
Meyerhoff hätte sie gut mit tiefschürfenden Gedanken zum Leben, Zusammenleben, Endlichkeit und Zuversicht füllen können, gespickt mit dem Humor, der an so vielen Stellen aufblitzt, und verpackt in Sprache, die das Lesen durchaus zum Vergnügen macht.
All das ist »Hamster im hinteren Stromgebiet« nicht. Bei aller Skurrilität drückt der Titel aus, dass das Buch verschiedene Aspekte nicht recht sinnvoll zu einem lesenswerten Ganzen zusammenbringt.

Meine Bewertung

2-Sterne-Bewertung der Buchleserin
Hinweis: Keine bezahlte Werbung.
ISBN:978-3-462-000264-5
Sprache:Deutsch
AusgabeTaschenbuch
Seitenzahl320
VerlagKiepenheuer & Witsch
Erscheinungsdatum:10.09.2020

Tagebuch eines Schlaganfallpatienten

Comments

  1. Allein der Titel hat mich schon gecatcht – und dann auch noch so charmant geschrieben! 🐹
    Ich liebe Geschichten, die einem mit einem Augenzwinkern zeigen, wie schräg und wunderbar das Leben manchmal ist. Kommt definitiv auf meine Leseliste – danke fürs Vorstellen! 😊

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