Fairy Tale

von Stephen King

Fairy Tale von Stephen King - Buchcover | Buchblog der Buchleserin

Es war einmal …

»Ich bin mir sicher, dass ich diese Geschichte erzählen kann. Sicher bin ich mir allerdings auch, dass niemand sie glauben wird. Das macht nichts. Er reicht mir, sie zu erzählen. Das Problem ist nur: Wo anfangen?
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, sehe ich deutlich einen roten Faden, der durch die Jahre zu dem Schuppen hinter der maroden viktorianischen Villa führt. Ein Faden aber ist leicht zu zerreißen. Also ist es kein Faden, sondern eine Kette. Eine starke. Und ich war der Junge mit der Fessel ums Handgelenk.«

Auszug des Klappentexts

Ein Fantasy-Märchen für junge und ältere Erwachsene

Es war einmal …

Stephen King erzählt in »Fairy Tale« die Geschichte des siebzehnjährigen Charlie Reade. Charlie ist ein durchschnittlicher Teenager, der mit seinem Vater in einer US-amerikanischen Kleinstadt aufwächst und zur Schule geht. Die Mutter ist bei einem tragischen Autounfall auf einer Brücke ums Leben gekommen, als Charlie acht Jahre alt war. Sein Vater verfiel daraufhin dem Alkohol, so dass der Junge schnell auf eigenen Beinen stehen musste. Eines Tages lernt Charlie den grantigen Mr. Bowditch kennen und muss diesem prompt zu Hilfe eilen. Der alte Mann ist von der Leiter gestürzt und nach einem Krankenhausaufenthalt auf Unterstützung angewiesen. Nur widerwillig nimmt er Charlies helfende Hand an, doch über die Wochen seiner Genesung freunden sich die beiden an. Genauso schließt Charlie die Schäferhündin Radar ins Herz, Mr. Bowditchs treue Gefährtin, die inzwischen in die Jahre gekommen ist. Und der Junge ahnt immer mehr, dass Mr. Bowditch ein Geheimnis hütet.

Eines Tages stößt Charlie in einem Schuppen auf einen Tunnel, der ihn in eine andere Welt führt. Dort findet er nicht nur Antworten auf die Fragen, die ihm Mr. Bowditch nicht beantwortet. Die Menschen dort sind von einer geheimnisvollen Krankheit befallen, und das Land wird beherrscht von einem unheimlichen König. Zunächst will Charlie nur eine magische Apparatur nutzen, um die todgeweihte Radar zu heilen. Es dauert jedoch nicht lang, bis er sich als Hauptakteur im Kampf um den Thron der Anderwelt wiederfindet.

Ein neues Epos vom King of Horror

»Fairy Tale« lag schon eine Weile auf meinem Stapel ungelesener Bücher. Ich bin großer Fan von Kings Büchern, besonders den Werken, in denen Magie und Fantasy eine große Rolle spielen. »Der Talisman«, der bereits 1984 in Zusammenarbeit mit Peter Straub erschien, die Fortsetzung »Das schwarze Haus« sowie die gesamte Reihe »Der Dunkle Turm« haben mich Nächte lang nicht losgelassen und hallen bis heute nach. King und Straub haben mit diesen Romanen nicht nur eine Welt, sondern ein ganzes Universum neuer Welten geschaffen, das seinesgleichen sucht. Der Ideenreichtum des Autors füllt diese Welten mit nie gesehenen Wesen und facettenreichen Landschaften und Städten. Die Geschichten um Jack Sawyer im »Talisman« und den Revolvermann Roland in der »Turm«- Saga verbindet King lose und äußerst geschickt an vielen Stellen und schafft es damit, den Leser noch tiefer in den Bann dieser Parallelwelten zu ziehen.

Daher habe ich mir »Fairy Tale« ein wenig für eine ruhige Zeit aufgehoben, um es ganz in Ruhe genießen zu können. Der Klappentext versprach wieder ein schillerndes Epos voller Magie mit der zu erwartenden Prise Horror. Und so stürzte ich mich mit Charlie Reade ins Abenteuer …

Nimm dir Zeit

Es dauerte eine Weile, bis ich mich in Kings ausufernden Stil (wieder) eingelesen hatte. Der Autor nimmt sich Zeit, Charlies Werdegang bis zum Beginn der mystischen Ereignisse vor uns auszubreiten, den grausamen Unfalltod der Mutter, das Dahinvegetieren des Vaters im Alkoholdelirium, das Leben des Jungen zwischen Schule und häuslichen Verpflichtungen. Die Sprache wird dabei selten langweilig, die beschriebenen Ereignisse und Begegnungen sind allesamt detailreich ausgestaltet und lassen einen streckenweise durch die Seiten fliegen.

Gewöhnungsbedürftig dabei ist die Erzählweise aus der Ich-Perspektive: Wir lesen die Geschichte aus Charlies Sicht, und so bedient sich King der Ausdrucksweise eines jungen Mannes, der innerhalb kürzester Zeit nicht nur erwachsen werden, sondern auch weit über sich hinauswachsen muss. Das bietet dem Autor die Möglichkeit, uns direkt an Charlies Gefühlswelt teilhaben zu lassen. Das funktioniert erfreulich gut, man ist nah an dem Jungen dran und versteht gut, warum er was tut. Gegen Ende des Romans gerät an manchen Stellen für meine Begriffe die Sprache allerdings doch etwas zu flach.

Schwierig für mich: Nach etwa einem Drittel des fast 900 Seiten starken Wälzers fragte ich mich, ob die Story nun bald einmal Fahrt aufnimmt. Sehr lang begleiten wir Charlie bei seinen Besuchen in Mr. Bowditchs Haus, wo er dem Senior bei allen seinen Tätigkeiten zur Hand geht. Es sind immer wieder die überraschenden Kleinigkeiten, die mich als Leserin das Buch nicht haben weglegen lassen, trotzdem hat es mich keine schlaflosen Nächte gekostet.

Auf in die Anderwelt

Ich habe dann regelrecht aufgeatmet, als Charlie den Tunnel nach Empis, in die Anderwelt entdeckt und dort Bekanntschaft mit all den Menschen macht, die die Landstriche dort bevölkern. Hier schimmert dann endlich wieder der Ideenreichtum des Autors durch die Buchseiten, wie ich ihn in den weiter oben genannten Werken erlebt habe. Weiterhin ist der Schreibstil bildgewaltig und sehr detailverliebt, trotzdem läuft man »hier« in dieser Welt weniger Gefahr, die Lust am Lesen zu verlieren als in der realen Welt. Spätestens, als man sich des Übels bewusstwird, das die Entstellungen der Menschen verursacht, und das drohende Unheil sich mehr und mehr in die Geschichte drängelt, packt einen das Buch. Interessante Charaktere kreuzen Charlies Weg, liebe Menschen, die trotz aller Entbehrungen große Güte an den Tag legen und unserem Protagonisten ohne Wenn und Aber zur Seite stehen. Und dann ist da ja noch die Prinzessin …

Charlie Reade, der Held

Gern bin ich Charlie Reade auf seinem Weg durch Empis gefolgt, war geschockt vom Zustand der Menschen und besonders der Hauptstadt, in der finstere Wesen hausen und Angst und Schrecken verbreiten. Ich habe seine Gefährten ins Herz geschlossen, mutige, kantige Typen, burschikose Frauen, die nicht auf den Mund gefallen sind, Charlies treue Gefährtin Radar, die resolute Prinzessin.

So fand ich es am Ende trotz der oben beschriebenen Längen am Anfang schon fast schade, Empis, Charlie, Radar und all ihre Begleiter zurücklassen zu müssen. Dazu beigetragen hat auch, dass die Geschichte am Ende wirklich etwas zu schnell vorüber war. Ohne spoilern zu wollen: Das Bestehen der Herausforderung gelingt den Helden der Geschichte etwas zu leicht, und der Weg zum Ort des Showdowns liest sich stellenweise wie ein kompromissloser Durchmarsch. Irgendwie wollte der Autor dann doch fertig werden. Er macht das damit wett, dass er die Geschichte auf den letzten Seiten sachte ausklingen und wenige Fragen offenlässt.

Solide, aber nicht der erwartete Pageturner

»Fairy Tale« wird sicher einen besonderen Platz in meinem Regal finden, weil Stephen King es wieder einmal schaffte, mich in eine besondere Welt zu entführen und durch die dortigen Geschehnisse mitzureißen. Trotzdem vermisse ich den Biss der früheren Werke, den subtilen und auch offensichtlichen Horror, der hinter jeder Tür warten kann.

Aber vielleicht sollte man das Buch genau als das lesen, was der Titel »Fairy Tale« verspricht: ein Märchen, mit einer Prinzessin, einem Märchenreich, üblen Gestalten und bösen Wesen und einem Jungen, der zum Helden wird.

Meine Bewertung

4-Sterne-Bewertung | Buchblog der Buchleserin
Hinweis: Keine bezahlte Werbung.
ISBN:978-3-453-27399-3
Sprache:Deutsch
AusgabeGebundenes Buch
Seitenzahl880
VerlagHeyne
Erscheinungsdatum:14.09.2022

Ein modernes Fantasy-Märchen, ganz anders als erwartet.

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