FUN

von Bela B. Felsenheimer

FUN von Bela B Felsenheimer - Buchcover | Buchblog der Buchleserin

Still having fun?

»Die Band mag manchmal ungehobelt sein und das Festhalten an den Sex-Drugs-und-Rock’n’Roll-Riten aus der Zeit gefallen, aber Miriam ist sich sicher, Fox, Maler und die anderen sind viel zu sehr auf das große Ganze fokussiert, um alles für ein bisschen Fun aufs Spiel zu setzen. Oder? Ein bisschen Fun, der manchmal aus dem Ruder läuft, mehr nicht.«

Ein großer Gesellschaftsroman über das Geschäft mit Macht, Ruhm und Fame, über Scham, Schuld und Gerechtigkeit – und über diejenigen, die den Preis dafür zahlen, dass der Spaß für andere grenzenlos ist.

Auszug des Klappentexts

Die Welt hinter der Bühne

Mit »FUN« veröffentlicht Bela B. Felsenheimer, seit 40 Jahren Schlagzeuger der Punkband »Die Ärzte«, seinen zweiten Roman. 2019 erschien »Scharnow«, in dem das Leben und Zusammenleben einiger reichlich schräger Charaktere in einer Kleinstadt in Brandenburg zum Thema hat. Darin geschehen zahllose absurde Dinge, die man unmöglich in wenigen Sätzen zusammenfassen kann. Mit »Scharnow« hat Bela B. jedenfalls bereits bewiesen, dass er mit seiner unkonventionellen Art, Bücher zu schreiben, eine Bereicherung für die deutsche Literaturszene ist.

Deshalb war ich sehr gespannt, ob er mit »FUN« an die Qualität seines Roman-Erstlings anknüpfen kann. Thematisch nähert sich der Drummer seiner Profession an und beschreibt sehr schonungslos das Business rund um die Mitglieder der fiktiven Rockband nbl/nbl samt Fans, Groupies, Management und Crew. Der Autor rückt das Thema toxische Männlichkeit und Machtmissbrauch in den Fokus und packt damit ein sehr heißes aktuelles Eisen an.

Sex, Drugs und Rock’n‘Roll

nbl/nbl feiern seit rund dreißig Jahren Erfolge als Rockband und kehren für drei Konzerte in ihre Heimatstadt Sasenheim in Brandenburg zurück. Das Motto »Sex, Drugs and Rock’n’Roll« wird von Sänger Maler Meister, Gitarrist Fox, Bassist Hüsker und den Schlagzeugern Krass und Petar noch immer gelebt. Und so landen nach einer Show einige junge Frauen im Backstagebereich. Die Begegnung hat schwerwiegende Folgen für alle Beteiligten.

Der Rummel um die Band reißt bei Liane alte Wunden wieder auf. Während sie mit zwei Freundinnen auf einem Hausboot auf der Müritz Urlaub macht und die drei ihre gemeinsame Vergangenheit diskutieren, versucht Lianes 22-jährige Tochter Maila einen Platz in der ersten Reihe beim Konzert von nbl/nbl zu ergattern. Der Sänger hat es ihr angetan, aber der Abend endet anders als erwartet.

Und dann ist da noch Lianes Mann Guido, der ihre Abwesenheit für ein Stelldichein mit seiner Mitarbeiterin Irissa nutzen möchte. Der Abend verläuft für ihn allerdings auch nicht, wie er ihn geplant hat.

Alles Menschen, keine guten, keine schlechten

Beim Thema Ruhm, Machtmissbrauch und Musikbranche könnte es einem Autor leicht passieren, dass die Charaktere im Roman schablonenhaft dargestellt werden. Das Bild des schillernden Rockstars, dem reihenweise die jungen Frauen verfallen, obwohl er einige schräge Allüren an den Tag legt, drängt sich auf. Genauso wie eben dieses Bild der kreischenden weiblichen Groupies, die für ein Selfie oder die Berührung ihres Idols (fast) alles tun würden.

Bela B. schafft es, den meisten Personen in seinem Roman »FUN« vielschichtige Wesenszüge zu verleihen. Die Managerin Miriam ist keine eiskalte Businessfrau, weiß trotzdem, wann sie auf den Tisch hauen muss, und kümmert sich fast mütterlich um die etwa fünfzigjährigen Musiker. Diese sind nicht alle komplett durchgeknallt oder dumm, vielmehr verlieren sie sich hin und wieder untereinander in fast philosophischen Gesprächen, bevor sie in einem Wutanfall wiederum den Backstagebereich verwüsten. Die weiblichen Fans sind ihnen nicht völlig willenlos verfallen und können sich an mehreren Stellen im Plot den teils plumpen und manchmal aggressiven Annäherungsversuchen entgegenstellen. In beiden Fällen, mal mehr, mal weniger. Dadurch bleiben die Protagonisten spannend und interessant, und die Handlung kommt durch erfreulich wenige Stereotype aus.

Eine Gratwanderung bei Sprache und Inhalt

Der Autor schreibt trotz des schwierigen Themas mit einer spielerischen Leichtigkeit, die das Lesen wirklich zu einem Vergnügen macht. Die Sprache ist einfach und zugänglich, ohne sie simpel nennen zu können, und sie passt in den Zeitgeist und zu dem Milieu, in dem sich die Handlung bewegt. Die Dialoge sind pointiert, nachvollziehbar und passend auf die Charaktere zugeschnitten. Es genügen wenige Worte, um den Musikern, den Männern von der Security oder den Mitgliedern von Lianes Familie ein Bild zu verleihen. Stellenweise beschreibt der Autor sexuelle Handlungen sehr explizit. Er driftet dabei weder ins Voyeuristische noch ins Pornografische ab, die Bildsprache bleibt deutlich, aber direkt. Auf der Impressumsseite wird auf solche Inhalte hingewiesen.

Ganz so leicht wie bei der Sprache macht es Bela B. sich und dem/der Lesenden beim Aufarbeiten des Themas nicht. Auch wenn er den männlichen Protagonisten ihre Schwächen zugesteht, dann entschuldigen diese nach seinen Ausführungen ihre übergriffigen Handlungen Frauen gegenüber nicht. Mehrmals sieht man Maler, Krass und Fox fast an der Übermacht ihrer Triebhaftigkeit verzweifeln. Die Szene, in denen sich Krass und Maler körperlich selbst dafür bestrafen, ihre Triebe nicht im Griff zu haben, könnte fast komisch wirken, wenn das Thema nicht so verdammt ernst wäre.

Der Kontrapunkt der wehrhaften Frauen tut dabei der Geschichte insgesamt gut. Überhaupt ist es dem Autor hoch anzurechnen, dass er einen großen Teil der Geschichte aus der Perspektive der Frauen schreibt. Dabei entwickelt er für meine Begriffe eine bemerkenswerte Sensibilität für die Seelenwelt der Protagonistinnen und ihre Beweggründe.

#metoo

Die Parallelen zu den Skandalen um den »Rammstein«-Sänger Till Lindemann sind offensichtlich, und ich weiß nicht, ob dieser Fall Bela B. Felsenheimer zum Schreiben von »FUN« veranlasst hat. Das spielt auch keine Rolle. Jedenfalls ist das Thema Machtmissbrauch durch Männer in führenden Positionen an Frauen durch Lindemanns Verfehlungen noch einmal in den Fokus gerückt.

Wir leben immer noch, auch hier in den westlichen, vermeintlich fortschrittlichen Nationen, in patriarchalisch geprägten Strukturen, in denen Männer über Wohl und Wehe in vielen Bereichen der Gesellschaft bestimmen, als wären wir noch im finstersten Mittelalter. Von Frauenquoten in Vorstandsetagen halten sie nichts, die Rolle der Frau wird reduziert auf das von Hausfrau und Mutter. Was mich dabei verstört: Es gibt unzählige Frauen, die sich in dieser Rolle gefallen. Videos von so genannten »Tradwives« – traditionellen Hausfrauen – trenden schon seit Monaten auf TikTok und anderen Plattformen. Das Gefährliche daran ist, dass dadurch Frauen wieder auf eine untergeordnete Ebene reduziert werden. Karriereambitionen und Engagement im Sozialen, Politischen und Kulturellen werden so im Keim erstickt. Das Rollenbild gefällt vor allem Konservativen und rechten Parteien, und spätestens hier sollte klar sein, wie gefährlich diese vom Patriarchat durchdrungene Strömung ist.

Reduziert werden Frauen so auch in mehr oder weniger breiten Bereichen der Gesellschaft auf Wesen, deren Vorzüge man(n) sich bedient, wenn einem danach ist. Dass dabei, wie in »FUN«, auch Drogen eingesetzt werden, um die weiblichen Opfer gefügiger zu machen – geschenkt. Wesentlich krasser empfand ich den Übergriff von Lianes Mann Guido, der dem angesehenen Beruf des Apothekers nachgeht, auf seine Auszubildende Irissa. Allein die harmlos anmutende Geste der Berührung mit der Hand am Rücken jagt mir einen Schauder über die Haut. Und erzählt mir jetzt nicht so etwas wie: »Hab dich nicht so, ist doch harmlos.« So fängt es an.

Mein Fazit: solide Erzählkunst

Mit »FUN« beweist Bela B. Felsenheimer einmal mehr sein Können als Erzähler ungewöhnlicher Stoffe. Sein Stil sticht auf erfreuliche Weise aus dem Einheitsbrei mancher Veröffentlichungen hervor, bei denen Manuskripte zugunsten von Verkaufszahlen zum Genre passend zusammengebügelt werden. Gern mehr davon.

Noch einmal hervorheben möchte ich den Mut, das Thema toxische Männlichkeit in Romanform äußerst zugänglich und dabei unverklemmt und direkt zu behandeln. Dabei als Mann so einfühlsam aus der Sicht von Frauen zu schreiben, nötigt mir einigen Respekt ab.

Ein kleiner Wermutstropfen: In der Mitte des Romans gibt es einige Längen, von denen bei mir wenig in Erinnerung geblieben ist. Außerdem ist der Zusammenhang zwischen den Hauptprotagonisten schon sehr früh klar. Der Spannung hätte eine spätere Auflösung gutgetan. Im letzten Viertel gibt der Autor dann aber noch einmal alles, hier fliegt man durch die Seiten und möchte das Buch nicht weglegen.

Was mir allerdings besonders gefehlt hat, ist eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema. Allzu schnell ist der Roman »FUN« zu Ende, und man fragt sich, wie es mit einigen Charakteren weitergeht, wie sie mit der Situation umgehen, zusammenfinden oder … Vielleicht ist das für einen Roman dieses Formats aber auch zu viel verlangt.

Alles in allem: Ein wichtiger Roman zu einem ernsten Thema, dem Bela B. mit seinem einzigartigen Schreibstil zu neuer Aufmerksamkeit verhilft.
Deshalb gebe ich eine klare Leseempfehlung und 4,5 Sterne, die ich gerne aufgerundet habe, weil es äußerst wichtig ist, diese Themen im kollektiven Bewusstsein zu manifestieren.

Meine Bewertung

5-Sterne-Bewertung
ISBN:978-3-453-27513-3
Sprache:Deutsch
AusgabeHardcover
Seitenzahl368
VerlagHeyne
Erscheinungsdatum:27.01.2025

Ein Roman, über den allgegenwärtigen Machtmissbrauch.

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