Der letzte Ringträger
von Kirill Jeskow
Ein anderer Blick auf das altbekannte Universum
Das Böse ist besiegt. Die Welt ist wieder aufgebaut. Was damals geschehen ist, weiß man nur noch aus Büchern. Doch wer hat die Geschichte der Vorfälle in der Vorzeit geschrieben?
Auszug des Klappentexts
Der letzte Ringträger gibt die Antwort: Es waren die Sieger. Sieger schreiben Geschichten, die ihnen in die Karten spielen. Und die spannendste Geschichte wird geschrieben, wenn man die Regeln des Kartenspiels ändert.
Eine bemerkenswerte und teils provokante Version zur Fortführung der »Ring-Saga« – ein ernstes und kluges Werk der anspruchsvollen fantastischen Belletristik
Zum Einstieg
Der Fantasy-Roman »Der letzte Ringträger« von Kirill Jeskow wurde bereits 1999 in Russland veröffentlicht. Bereits damals fand die Erzählung internationale Beachtung. Allerdings wurde ich erst durch den Radiator Verlag mit seiner Rezensionsanfrage auf den Autor mit seiner alternativen Geschichte zu J. R. R. Tolkiens »Der Herr der Ringe« aufmerksam.
Daher danke ich dem Radiator Verlag, der sich des vergessenen Klassikers der Fantastik angenommen und mir ein Leseexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Autor und Übersetzung
Der Wissenschaftler und Schriftsteller Kirill Jeskow ist der Autor des Romans »Der letzte Ringträger«. Er wurde 1956 in Moskau geboren, studierte und promovierte an der Moskauer Universität im Fachbereich Biologie. Als Biologe und Paläontologe hat er seinen Forschungsschwerpunkt u. a. auf fossile Spinnen gelegt, veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und gilt in der Fachwelt als anerkannter Experte auf seinem Fachgebiet.
Literarisch hat er sich dem Verfahren der Überschreibung bestehender Werke der Weltliteratur verschrieben. Bei dem hier besprochenen Roman »Der letzte Ringträger« wagte der Schriftsteller den unorthodoxen Ansatz, die Geschichte der »Ringe-Saga« aus einer anderen Perspektive zu erzählen. Damit praktizierte er die Umkehrung der moralischen Strukturen und wagte sich an ein provokantes Spiel mit Gut und Böse.
Während meiner Schulzeit hatte ich die Möglichkeit, mit der russischen Sprache in Kontakt zu treten, und weiß daher um die sprachliche Eleganz der für Deutsche meist hart und dominant klingenden russischen Sprache.
Der Roman »Der letzte Ringträger« liegt nun erstmals in der deutschen Übersetzung vor. Man spürt beim Lesen, dass dem Übersetzer Max Schatz das Kunststück gelang, den feinen Humor und die spannungsgeladene Erzählweise des Originals einzufangen.
Der Perspektivwechsel
Die Geschichte »Der letzte Ringträger« beginnt dort, wo andere Bücher enden. Der Krieg ist gewonnen. Der König gekrönt, aber die Probleme sind nicht aus der Welt. Gut wird zu Böse. Das vermeintlich Böse stammt möglicherweise nicht von den augenscheinlich Bösen.
Die Welt muss wieder gerettet werden. Dafür gilt es neue Bündnisse zu schmieden, alte Bündnisse zu hinterfragen, Abenteuer zu bestehen und mit viel Geschick und Cleverness an die Lösung der übertragenen, vermeintlich unlösbaren Aufgabe heranzutreten. Drei ganz unterschiedliche Gefährten schließen sich zu einer Allianz zusammen und versuchen das Unmögliche möglich werden zu lassen.
Achtung: Ein kurzer Spoiler
Der letzte Überlebende des Ordens der Nazgul beauftragt den Feldarzt Haladdin mit der Zerstörung des magischen Spiegels (bzw. Kristalls) in den Flammen des immerwährenden Feuers des Schicksalsbergs. Dies wird die Welt der Elfen verschließen und sie daran hindern, die Menschheit zu versklaven und deren Welt zu einem ewigen dunklen Zeitalter zu verurteilen. Seine neuen Gefährten – Baron Tangorn und Sergeant Tzerlag – unterstützen ihn bei diesem schier unmöglichen Unterfangen.
Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, da jedes weitere Wort zu tief in die Geschichte hineingreift und das unvoreingenomme Lesevergnügen schmälert. 😊
Mehrdimensional und tiefgründig
»Der letzte Ringträger« ist kein typischer High-Fantasy-Roman im üblichen Stil, den man einfach so »durchfliegt«. Diese Geschichte wurde vor über 25 Jahren geschrieben, und der Autor ist ein Wissenschaftler, das spürt man. Kirill Jeskow gelang es, eine an die Geschichte Tolkiens angelehnte Fantasy-Story zu kreieren, welche durch eine komplexe Erzählweise besticht.
Die mythische Dimension der Geschichte ist ein großer Pluspunkt und trifft den Nerv der Fantasy-Begeisterten. Das Setting ist faszinierend und reich an Details, atmosphärisch und fesselnd zugleich. Das war mein Highlight bei diesem Buch.
Die unterschiedlichen Charaktere sind gut ausgestaltet – facettenreich und tiefgründig, voller Ecken und Kanten, dabei selten wirklich sympathisch – Baron Tangorn und der Förster Rankorn ausgenommen. Durch das Handeln werfen die Protagonisten häufig moralische Fragestellungen auf, das unterstreicht überaus anspruchsvoll die Komplexität dieser Geschichte. Man fiebert mit, ist aber zugleich hin und hergerissen. Es gibt kein Schwarz und Weiß, ebenso wenig den strahlenden Helden in der goldenen Rüstung. Der Autor hat die Kunst zur Perfektion gebracht, die tiefsten Abgründe und düsteren Seiten seiner Figuren bildhaft zu entblößen. Themen wie die Besessenheit von Macht, Verantwortlichkeit, Gerechtigkeit und die Folgen eines jeden Handelns werden tiefgründig und ungeschönt angesprochen.
Leser, die sich gern mit Fragen der Ethik und der menschlichen Natur auseinandersetzen, könnten diese fantastische Welt voller Grauschattierungen mögen, denn sie kommen auf ihre Kosten.
Wie bereits erwähnt, ist dieses Werk fern der klassischen Fantasy-Story, wie sie heutzutage publiziert wird. Beim Lesen hatte ich den Eindruck, dass der gesamte Aufbau der Geschichte eher an einen ausgeklügelten, düsteren Spionage- oder Agententhriller erinnert. Die verschiedenen Akteure bewegen sich wie Agenten durch Welten, die von Intrigen, Machtansprüchen, Propaganda, Verrat, Spionage durch Geheimdienste und feigen Morden geprägt sind, stets das eigene Ziel vor Augen – die Erfüllung ihrer oft geheimen Aufträge – und das meist auf Kosten von Leben.
Vielschichtige Komplexität
Meine Vorfreude auf das Werk »Der letzte Ringträger« war groß, und ich konnte es kaum erwarten, das Buch endlich in den Händen zu halten. Der Einstieg in die Geschichte gestaltete sich jedoch alles andere als einfach. Als eingefleischtem Fan der Werke von J.R.R. Tolkien und dessen Universum bereiteten mir diese gänzlich umgekehrten Perspektiven mehr Schwierigkeiten als ich erwartet hatte. Die Umkehrung der moralischen Strukturen, gepaart mit der kreativen Neuschöpfung der Story, haben mich buchstäblich herausgefordert, und ich musste mich erst »einlesen«.
Seinen Roman hat der Autor in vier Abschnitte unterteilt. Nach einer kurzen Eröffnungssequenz, in der man bereits einige Protagonisten kennenlernen darf, erläutert der Autor im ersten Abschnitt in fast wissenschaftlicher Manier die Entwicklungen und Zusammenhänge seines Universums. Zweifellos wichtig, aber unglaublich kräftezehrend, wenn man zugleich das bekannte Tolkien-Universum im Hinterkopf hat. So richtig angekommen in seiner Erzählung bin ich daher erst zum Ende des zweiten Abschnitts, aber dann hat mich die Story gepackt. Trotzdem konnte ich nicht in gewohnter Weise durch die Geschichte fliegen. Woran es lag, kann ich nur schwerlich in Worte fassen.

Die Aufmachung des Romans »Der letzte Ringträger« ist einem Klassiker würdig. Das Cover ist von zurückhaltender Eleganz geprägt.
Der Einband besteht aus einem grünen Leinenbezug, in dem eine Rune eingeprägt worden ist. Das Titelblatt eines jeden Teilabschnitts wird von unterschiedlichen Symbolen geschmückt. Mir hat die Gestaltung des Romans sehr gefallen.
Mein Resümee
»Der letzte Ringträger« von Kirill Jeskow ist ein tiefgründiges und anspruchsvolles Werk, das in keiner Weise mit den Werken von Tolkien vergleichbar ist. Ich mutmaße, dass der Autor niemals das Ziel verfolgte, diesem Vergleich gerecht zu werden.
Vielmehr hat Jeskow ein durchdachtes Werk der bedeutungsvollen, düsteren, mystisch-poetischen Literatur erschaffen, das von faszinierenden Gegensätzen und Grauschattierungen durchzogen ist. Er nutzte die Chance, verschiedene Fragenstellungen, teilweise geschichtliche Bezüge einfließen zu lassen und diese dem kritischen Leser zum Nachdenken zu überlassen.
Also: Keine leichte Kost, aber absolut lesenswert!
Meine Bewertung

Hinweis: Werbung - Rezensionsexemplar | Vielen Dank an @radiator-verlag für das Leseexemplar. 😊
ISBN: | 978-3-911265-10-2 |
Sprache: | Deutsch |
Ausgabe | Gebundenes Buch |
Seitenzahl | 510 |
Verlag | Radiator Verlag |
Erscheinungsdatum: | 04.12.2024 |
Interpretation eines Fantasy-Klassikers im fesselnden Genre-Mix – ein anderer Blick auf ein altbekanntes Universum.