Ein Vogel namens Schopenhauer

von Tom Diesbrock

Ein Vogel namens Schopenhauer von Tom Diesbrock - Buchcover | Buchblog der Buchleserin

Zwei ungewöhnliche Freunde auf einer Reise ins Leben

Es ist zu heiß, das Unkraut zu üppig, und überhaupt ist das Leben eine einzige Zumutung! Wäre an diesem Apriltag nicht urplötzlich ein seltsamer Vogel in Matteos Garten aufgetaucht, der alte italienische Philosoph wäre noch immer ganz allein auf der Welt. Doch Schopenhauer, wie Matteo den Waldrapp nennt, scheint ihn zu mögen. Und bleibt. Matte findet heraus, dass der Vogel zu einer Aufzuchtstation jenseits der Alpen gehört. Um noch ein wenig Zeit miteinander zu verbringen, beschließt er, Schopenhauer mit dem Rad selbst über die Berge zu fahren.
Der Beginn einer unglaublichen Reise, die alles verändert …

Auszug des Klappentexts

Manchmal braucht es einen kleinen Schubs, um sich auf die Reise zu sich selbst zu machen. Oder einen Vogel.

Geschichten wie diese …

… gibt es einige: Menschen, die eine Last mit sich herumtragen, Schlimmes erlebt und sich in sich selbst zurückgezogen haben, machen sich auf den Weg, um wieder zu sich selbst zu finden. Nicht erst seit Hape Kerkelings »Ich bin dann mal weg« haben Geschichten über die Besinnung auf das Wesentliche und die Rückkehr zu einem lebensbejahenden Dasein Konjunktur und eine dankbare Leserschaft. Da spielt es keine Rolle, ob es eine Autobiografie oder eine fiktionale Story ist.

Trotzdem ist Tom Diesbrocks Erzählung »Ein Vogel namens Schopenhauer« über den in sich gekehrten Matteo und seine Reise über die Alpen eine andere, eine neue. Ich will versuchen zu erklären, warum.

Wenn das Herz für eine Sache brennt

Der Autor hat sich intensiv mit den Waldrappen beschäftigt, wurde über das Projekt LIFE Bald Northern Ibis Pate eines Waldrapps namens Gigolo, der ihn zu seinem Roman inspirierte. Man merkt Tom Diesbrock seine Passion für die außergewöhnlichen Vögel an, die fast ausgestorben waren und nur dank des Einsatzes von Vogelschützern in Europa wieder eine Chance auf ein Leben in der Wildnis haben. Inzwischen rückt ihr Schicksal wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, und es gibt schöne Dokumentationen über diese Projekte mit beeindruckenden Bildern, wie die Züchter die Waldrappe, die ihre Flugrouten über die Alpen von ihren Eltern in Zoos und Aufzuchtstationen nicht lernen können, in Ultraleichtflugzeugen begleiten und den Weg zeigen. Mit seinem Roman »Ein Vogel namens Schopenhauer« packt Tom Diesbrock das Schicksal der Waldrappe in Romanform und verhilft ihnen dadurch – hoffentlich – zu noch mehr Bekanntheit.

Grumpy Old Man

Im Zentrum der Geschichte steht hier Matteo, ein in sich verschlossener, etwas älterer Griesgram, der sich in sein Häuschen in einer Gartenkolonie zurückgezogen hat und seinen Mitmenschen am liebsten aus dem Weg geht. Viel lieber widmet sich der nachdenkliche Mann den Philosophen. Er ist das Sinnbild des »Grumpy Old Man«, und trotz seiner miesepetrigen Art kann man ihn bisweilen gut verstehen und ihn ein wenig sympathisch finden. Natürlich gibt es Gründe für seine Stimmung, die sich im Verlauf der Erzählung nach und nach offenbaren und das Verständnis für seinen rauen Umgangston wachsen lassen. Allein Leyla, die ebenfalls ein Häuschen in der Kolonie hat, lässt nicht locker und versucht mit regelmäßigen Besuchen hartnäckig, Matteos harte Schale zu knacken.

Pilgerreise mit Vogel

Matteos zurückgezogenes Leben erfährt die entscheidende Wendung, als ein Waldrapp in seinem Garten landet. Der Vogel ist verletzt und kann seine Reise deshalb nicht fortsetzen. Matteo nimmt sich seiner an, und es entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen ihm und Schopenhauer, wie er seinen gefiederten Freund nennt. Leyla findet heraus, dass Schopenhauer aus einer Aufzuchtstation in Burghausen in Deutschland stammt, doch Matteo ist nicht gewillt, den Vogel abholen zu lassen. Irgendwann beschließt er, Schopenhauer selbst zurückzubringen. Und so beginnt seine abenteuerliche Reise auf dem Fahrrad über die Alpen, mit einem Waldrapp im Anhänger.

Wer weist hier wem den Weg?

Auf seiner Reise durch Norditalien und Österreich ins südöstliche Bayern versucht Matteo zunächst, anderen Menschen aus dem Weg zu gehen. Doch Begegnungen lassen sich nicht vermeiden, und so trifft er auf gastfreundliche Frauen und Männer, die ihm ihrerseits von Schicksalsschlägen und den kleinen und großen Bürden des Lebens berichten.
Er erlebt die Schönheit der Natur und der ihn umgebenden Landschaft, durchlebt die Strapazen, die eine Radreise über die Alpen mit sich bringt. Er bleibt seinen Philosophen treu und findet doch neue Ansichten zum Dasein, lässt sich ein auf alte Mythen über die Waldrappe, die Leyla ihm aus ihrer Heimat in der Türkei erzählt.
Treu bei ihm ist auch stets Schopenhauer, um den sich Matteo rührend kümmert und der ihm immer mehr ans Herz wächst. Und dann sind da die täglichen Telefonate mit Leyla, die ihn aus der Ferne moralisch unterstützt, auch wenn er immer wieder einmal emotional wird und sie hitzköpfig vor den Kopf stößt. Stets raufen sich die beiden zusammen und finden erneut zueinander.
Nach und nach wird Matteos Reise zu einer Pilgerreise, auf der nicht er nur den Waldrapp nach Hause bringt, sondern der Vogel und all die Menschen entlang der Route dem Philosophen auf dem Rad den Weg zu sich selbst weisen.

Eine Geschichte wie eine warme Umarmung

Tom Diesbrock schreibt flüssig, nicht abgehoben und nicht zu simpel und lässt uns den grummeligen alten Kerl kennen- und lieben lernen. Es ist wunderbar zu lesen, wie sich Matteos Wesen mit jedem Kilometer, jedem kleinen Rückschlag und Erfolgserlebnis und jeder Begegnung entlang des Weges ändert. Diese Entwicklung ist zu erwarten, der Klappentext verrät es, und mehr möchte ich an dieser Stelle auch nicht offenbaren. Schon gar nicht möchte ich das Ende der Geschichte beschreiben, nur so viel: Es gibt nicht viele Bücher, die mich von vorn bis hinten so warmherzig mitgenommen haben, wie »Ein Vogel namens Schopenhauer«. Hängengeblieben ist bei mir eine Szene, die mich stark an Tom Hanks‘ mitreißende Performance in »Castaway « auf dem Floß erinnerte, als sein Weggefährte Wilson, ein Volleyball, unwiederbringlich in den Fluten verschwindet. So tragisch verläuft Matteos und Schopenhauers Geschichte zum Glück nicht.

Und beim Lesen der letzten Seiten war da erneut ein wohliger Schauer wie auch eine kleine Träne in den Augen. Der Grund? Einfach schön. Am besten selbst lesen, es lohnt sich!

Meine Bewertung

5-Sterne-Bewertung
Hinweis: Keine bezahlte Werbung.
ISBN:978-3-492-07222-9
Sprache:Deutsch
AusgabeGebundenes Buch
Seitenzahl336
VerlagPiper
Erscheinungsdatum:28.03.2024

Ein Debütroman über das Glück der Freundschaft

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert