Das Mädchen mit dem Drachen

von Laetitia Colombani

Das Mädchen mit dem Drachen von Laetitia Colombani - Buchcover | Buchblog der Buchleserin

Eine Schule am Indischen Ozean  – ein hoffnungsvoller Ort, der alles verändert.

Am Golf von Bengalen will Léna ihr Leben in Frankreich vergessen. Als Lalita, das Mädchen mit dem Drachen, ihr das Leben rettet, fasst Léna einen Plan: eine Dorfschule für Mädchen soll alles verändern.

Auszug des Klappentexts

Ein emotionaler Roman über mutige Frauen, bewegend und viel zu schnell ausgelesen.

Bevor es losgeht

Der Roman »Das Mädchen mit dem Drachen« ist nach »Der Zopf« und »Das Haus der Frauen« der dritte Roman von Laetitia Colombani.

Für mich stellt die Geschichte »Das Mädchen mit dem Drachen« den inoffiziellen dritten Teil ihrer feministischen Buchreihe – über starke Frauen in überaus herausfordernden Lebensrealitäten – dar.
Ich wage die Vermutung zu äußern, dass der Autorin, zu Beginn ihrer Arbeit am ersten Buch, eine Buchreihe als Trilogie nicht vorschwebte. Mir drängt sich dieser Trilogie-Gedanke jedoch ungewollt auf. Warum?

In allen Geschichten gewährt sie uns Einblick in die belastenden Lebenssituationen von Frauen, jeweils garniert mit einer starken feministischen Note, ohne dabei ins Belehrende abzudriften.

Wie bei dieser Episode: Erneut entführt sie den Lesenden nach Indien, und man trifft auf eine »alte« Bekannte, deren dramatische Lebensgeschichte nunmehr ein Stück fortgeschrieben wird. Echtes Trilogie-Potenzial.

Zurück nach Indien

Léna ist eine Lehrerin aus Frankreich, die auf eine langjährige Berufslaufbahn zurückblicken kann. Dann schlug das Schicksal zu, es entriss ihr auf brutale Weise ihren Gefährten, ihren Seelenverwandten. Ihr Mann Francois träumte schon länger von einem gemeinsamen Haus in der Bretagne und von einer Reise nach Indien. Ein Haus am Meer ohne ihren Partner ist für Lená undenkbar, und so reist sie nach Indien.

Gestandet am Golf von Bengalen versucht sie zu vergessen und zu sich selbst zu finden, doch die Kraft der Trauer ist übermächtiger. Einzig in den ruhigen Morgenstunden zieht es sie an den Strand, ohne den Trubel des Tages kann sie so ungestört ihren Gedanken nachhängen und die Natur bestaunen. Zu dieser Tageszeit besuchen nur Léna und ein kleines Mädchen, das mit einem selbstgebastelten Drachen spielt, den Strand. Eines Morgens überwiegt die Dunkelheit der Trauer, und Léna überschätzt die Kraft Meeres. Das aufmerksame Mädchen erkennt die Lebensgefahr, holt die jugendliche Preeti, die furchtlose Anführerin der verrufenen Selbstverteidigungsgruppe für junge Frauen, und gemeinsam retten sie Léna das Leben.
Dieses schockierende Erlebnis lässt die zarten Bande einer besonderen Freundschaft entstehen. Sehr zügig muss sie feststellen, dass das schweigsame Mädchen in einer Kultur lebt, die geprägt ist von Armut, kindheits- und frauenfeindlichen Traditionen, und dass das wissbegierige Kind gefangen ist in einer frauenverachtenden und bildungsfernen Lebensart.

Léna selbst wurde durch die westlichen Werte, Traditionen und das Bildungsbewusstsein geprägt. Deshalb sind derartige Zustände für sie inakzeptabel. Spontan beschließt sie, eine Dorfschule für Mädchen zu gründen, mit dem Ziel, den Kindern eine Chance auf Bildung und vielleicht sogar eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Allein ist dieses Unterfangen schier unmöglich, und so bittet sie Preeti um Hilfe.

Kann so ein Vorhaben gelingen? Eine Dorfschule für Mädchen in einer der ärmsten Provinzen des Landes, wo Bildung den höheren Kasten und bevorzugt den männlichen Bewohnern vorbehalten ist?

Eine »alte« Bekannte

Für ihrem Roman »Das Mädchen mit dem Drachen« hat die Schriftstellerin wiederholt Indien als Handlungsort auserkoren, und dort treffen wir erneut auf das kleine Mädchen aus dem Buch »Der Zopf«.

Hier klicken, wenn du wissen willst, wie es weitergeht (Spoiler):

Inzwischen ist die junge Lalita allein. Ihre Mutter ist verstorben, und das Mädchen fand bei fernen, kinderlosen Verwandten ein neues Zuhause. Diese wechselten den Glauben, leben nun als Christen und haben das Kind auf den Namen Holy getauft. Alles, um ihre wahre Identität zu verbergen und dem gnadenlosen Diktat der Kasten zu entkommen. Das Mädchen gehört zu den Dalits, den Unberührbaren, der untersten Gruppe im hinduistischen Kastensystem.

Unter diesen Vorzeichen scheint der weitere Lebensweg des Mädchens vorgezeichnet: Sobald sich die körperlichen Anzeichen des Wechsels zur Frau bemerkbar machen, werden die minderjährigen Mädchen oftmals verheiratet, auch wenn das Gesetz für eine Eheschließung ein Mindestalter von 18 Jahren vorschreibt. Doch zu groß sind die Armut, das Traditionsbewusstsein und fehlende Bildung in den ländlichen Provinzen.

Ein Land und zwei Gesichter

In ihrem Buch »Das Mädchen mit dem Drachen« nimmt sich Colombani einer Fülle von Themen an: Sie lässt ihre Protagonistin z. B. auf eine Frauengruppe treffen, die sich die Rote Brigade nennt. Diese Gruppe ist wild entschlossen, die Situation der Frauen in ihrem Land zu verbessern und lehrt u. a. die Praktiken der Selbstverteidigung. Ein überlebenswichtiger Ansatz, um die jungen Frauen besser vor sexueller Gewalt zu schützen.

Durch dieses gnadenlose Aufeinanderprallen von gesellschaftlichen und kulturellen Unterschieden lernt die Hauptfigur Léna das wahre Indien kennen. Ein Land mit zwei Gesichtern: Das eine zeigt die Vielfalt der Kultur, dessen Pracht und die gelebten Traditionen. Das andere ist geprägt durch den Tourismus und dessen romantisiertes Ideal dieser Region – angelockt durch die Schönheit der Natur und den Gesundheitstourismus (Yoga und Ayurveda).

Doch was viele Außenstehende vielleicht vergessen oder viel zu gern übersehen, ist die besondere Situation der Frauen in dem Land. Vornehmlich den Frauen aus der ärmeren Gesellschaftsschicht wird der Zugang zur Bildung verwehrt, sie werden noch als Kinder verheiratet und sind körperlicher Gewalt ausgeliefert, oftmals ohne nennenswerte Konsequenzen für die Täter, aber mit lebenslangen Folgen für die Opfer.

Diesem wilden Potpourri an Problemen und Missständen müssen sich die Figuren in dem Roman stellen, mehr oder weniger intensiv ausgearbeitet.

Der Kampf für eine bessere Zukunft

In ihrem Roman »Das Mädchen mit dem Drachen« gibt die Autorin den Frauen die Macht zurück, gibt ihnen die Stärke und den Mut, Veränderungen anzustreben – im Kleinen wie im Großen. Nicht ohne Widerstand, aber dafür mit viel Ausdauer und starken literarisch gezeichneten Bildern.
Man spürt in jedem Kapitel, jedem Absatz, einfach in jeder Zeile die Leidenschaft der Autorin für feministische Themen, und so ist dieses Buch ihr Beitrag, um auf diese himmelschreienden Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen.
Dazu bedient sie sich einer bemerkenswerten Sprache und schafft so Bilder, die den Lesenden auf der Reise durch die Seiten mit fast allen Emotionen der Gefühlspalette konfrontiert.

Ihre Charaktere und der Handlungsort sind eindrücklich gezeichnet, gewähren dabei Raum für Nähe und zeitgleich genügend Freiraum für die eigene Vorstellungskraft.

Colombani spricht neben den gesellschaftskritischen Themen auch die unbändige Macht von Trauer, den körperlichen und seelischen Schmerz von erlittenem Verlust an.
Schreibt daneben ganz wundervoll über die zarte Bande von Freundschaft, über die Stärke der Gemeinschaft und gibt, durch die resilienten Frauenfiguren in ihrem Roman, den Ungehörten eine Stimme.

Mein Resümee

Der dritte Roman »Das Mädchen mit dem Drachen« von Laetitia Colombani ist ein starkes Stück Literatur. Das Buch liest sich trotz der Schwere der Thematik hervorragend, und so wundert es mich gar nicht, dass sie eine erfolgreiche Bestsellerautorin ist.
Entdeckt habe ich das Werk im Laden als gebundenes Buch im Pocket-Format und freue mich, dass dieser beeindruckende Roman nun seinen Platz in meinem Buchregal erhalten hat. 😊

Ich bin gespannt, mit welcher Handlung sie uns im nächsten Roman überrascht. Insgeheim hoffe ich, dass dieses Buch nicht das letzte ihrer feministisch geprägten Reihe ist. Dann würde ich über eine Tetralogie sprechen. Das ist klingt doch gut. Oder?

Meine Bewertung

5-Sterne-Bewertung
Hinweis: Keine bezahlte Werbung.
ISBN:978-3-596-52337-5
Sprache:Deutsch
AusgabeGebundenes Buch
Seitenzahl240
VerlagFISCHER Taschenbuch
Erscheinungsdatum:26.07.2023

Ein bewegender Roman über mutige Frauen

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