Ein Sommer am Ufer des Dnjepr
von André Bergelt
Ein Roman über die erste Liebe, die Macht der Musik und die Schatten des Stalinismus.
Sommer 1979. Oma Mina flüchtet mit Anton aus Kiew vor der Hitze ins Umland. Sie beziehen ein Gartenhaus. Anton hasst Insekten, andere Kinder sind ihm zu laut. Lieber spielt er Klarinette und übt Musiktheorie. Er will wie sein verschollener Opa Isaak Revolutionär werden. Als Anton in den Dnjepr fällt, gerät er in die Strömung. Timur, ein älterer Junge, versucht ihn zu retten. Timur ist Punk und fordert Anton zum Duell. Wer ist mutiger: Punk oder Jazzer?
Auszug des Klappentexts
Eine fabelhafte Sommer-Story – authentisch, geistreich und herzerwärmend
Ein paar Sätze vorweg
Auf den Roman »Ein Sommer am Ufer des Dnjepr« von André Bergelt wurde ich nicht bei meinen Streifzügen durch die Buchhandlungen aufmerksam, sondern durch eine Rezensionsanfrage. Bis zu dem freundlichen Kontakt kannte ich weder den Autoren noch den Verlag.
Offen gebe ich zu, dass mich die Anfrage überrascht hat, da Romane in diesem Handlungsumfeld bisher nicht auf meinem Blog vertreten sind. Zeitgleich fand ich es mutig vom Verlag, mir dieses Werk zur Buchbesprechung in die Hände zu legen.
Neugierig und interessiert bezüglich der zu erwartenden Thematik, wagte ich mich an diese Story heran.
Eintauchen in die Geschichte
»Ein Sommer am Ufer des Dnjepr« handelt von Anton und seiner Oma Mina. Es wird rückblickend von deren Sommermonaten auf dem Land erzählt. Wie sie vor der Hitze des sommerlichen Kiew flüchten, in Erwartung unbeschwerter Ferien im Grünen. Sie wohnen in einem Gartenhäuschen. Baden im Dnjepr, verbringen laue Sommernächte auf der Terrasse und genießen frisches Obst und Gemüse aus dem Garten. Der fast zehnjährige Anton ist anders als Kinder in seinem Alter. Er beschäftigt sich lieber mit Musiktheorie, übt bereitwillig auf seiner Klarinette. Er ist gesegnet mit dem absoluten Gehör, und so sind ihm andere Kinder grundsätzlich zu laut. Draußen sein und die Natur entdecken, entsprechen nicht seiner Leidenschaft. Sein verschollener Opa Isaak ist sein wahrer Held. Wie er will er ein Revolutionär werden.
Gleich zu Beginn des Sommers fällt er in den Dnjepr. Die Strömung erfasst ihn, und Timur ein etwas älterer Junge, eilt ihm zu Hilfe. Das Unglück wird abgewendet und eine besondere Freundschaft erwacht.
Timur ist ein Punk. Schnell steht die Frage im Raum: Wer ist mutiger: Punk oder Revolutionär? Die Frage soll in einem Duell geklärt werden. Der Einsatz sind ein Sex-Pistol-Tape und ein goldener Taktstock. So beginnt der Wettstreit und bringt manche verrückte Aktionen mit sich, und es wollen Antworten gefunden werden auf die Fragen: Wer gewinnt das Duell? Was ist mit Opa Isaak geschehen? Welches Geheimnis verbirgt Oma Mina, und welche Rolle spielt das Mädchen mit der New-Wave-Band?
Wer ist der Autor?
Der Roman »Ein Sommer am Ufer des Dnjepr« wurde von Andrè Bergelt verfasst. Seiner Autoren-Vita kann man entnehmen, dass er Psychologie und Philosophie studierte und in verschiedenen Gebieten z. B. als Übersetzer, Regieassistent und als freier Dozent tätig war.
Diese vielfältigen Beschäftigungsfelder bescheren einer literarisch veranlagten Person den Freiraum für umfangreiche Betrachtungen seiner Umwelt. Und nicht selten finden derartige Beobachtungen in abgewandelter Form den Einzug in die erdachten Geschichten.
Das Buch ist ein zweites Werk. Sein Debütroman mit dem »Affentanz!« erschien im Sommer 2015.
Wie vormals erwähnt, war mir der Autor unbekannt und ich vermochte nicht vorherzusagen, was mich bei dieser Lektüre erwartet. Meine Überraschung war immens.
Licht und Schatten
Wie der Titel verrät, ist der Spielort der Handlung in der Ukraine angesiedelt, jenem vom Krieg geplagten Land, welches aus aktuellem Anlass allgegenwärtig ist. Der Roman behandelt nicht die neueren Ereignisse, sondern es wird eine fiktive Coming-of-Age-Story über zwei Jungen während eines weit zurückliegenden Sommers erzählt. Hier werden die Liebe zur Musik, zu der Familie, zum Heimatland und der Wert wahrer Freundschaft virtuos in Szene gesetzt.
André Bergelt hat deutsche und russische Wurzeln. In seiner Kindheit verbrachte er viele Sommer bei seiner Oma. Sie war eine ukrainische Jüdin, Professorin für Chemie, und sein Großvater wurde deportiert.
Diese Informationen sind der Autoren-Vita entnommen, und damit schließt sich ein Kreis. Wir sind zurück bei den Beobachtungen und deren Einfluss auf die Handlung. Die Parallelen sind unstrittig erkennbar, und dessen ungeachtet maße ich mir an, zu behaupten, dass dieser Roman kein biografisches Werk ist, schließlich wird es so auch nicht beworben. Wenn dies der Fall wäre, wäre es unerheblich, denn der Sog dieser Geschichte ist ungemein stark.
Scheinbar mühelos werden der machtvolle Einfluss der Musik, die grenzenüberwindende Kraft der familiären Beziehungen, die allgegenwärtige Heimatverbundenheit und die tiefgreifende und nichts beschönigende Geschichte eines gequälten Landes beleuchtet.
Durch das Zusammenspiel dieser verschiedenen Aspekte ist die Wirkung des Romans »Ein Sommer am Ufer des Dnjepr« umfassender und prägnanter als zu Beginn erahnt.
Der Autor schafft es meisterhaft unaufgeregt, die Leichtigkeit eines unbeschwerten Sommers zweier Teenager mit den zarten Banden der ersten Liebe und dem dramatischen Werdegang der Ukraine zu verknüpfen.
Der Lesende taucht ein in die Ereignisse dieses Landes und dem daraus resultierenden Umgang mit den Bürgern jüdischen Glaubens.
Es werden die die Handlung begleitenden Fragen zum Verschwinden des Großvaters beantwortet und die Liebe in all ihren Farben und Formen beleuchtet.
Anton ist ein Protagonist, den der Lesende mögen muss. Er wird als aufgeweckter, intelligenter und unglaublich liebenswerter Charakter dargestellt. Der seine Schwächen hat, seine eigenen Grenzen kennt und sich den Mut aneignet, diese zu überschreiten, und er stellt das alles verbindende Glied in dieser Geschichte dar.
Die weiteren Figuren erhielten eine ebenso behutsame Skizzierung, nicht derart detailliert, wie es z. B. von einem Fantasy-Roman bekannt ist, aber genau so, dass man die ihnen zugestandenen Attribute erkennt und ihre Glaubwürdigkeit unterstrichen wird.
Noch ein paar Worte
Als Mensch, der ganz genau die aktuellen Entwicklungen in der Welt verfolgt, interessiere ich mich auch für die Ukraine, und als Kind las ich die Erzählung „Timur und sein Trupp“ von Arkadi Gaidar.
Der Roman »Ein Sommer am Ufer des Dnjepr« von Bergelt erzählt eine ganz andere Geschichte, aber trotzdem konnte ich mich der Erinnerung an den Klassiker nicht verwehren, denn auch hier sind die zentralen Themen Freundschaft, Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft.
Wie wäre es, wenn wir unsere heutige Welt mehr nach diesen Prinzipen gestalten? Das ist doch eigentlich ganz einfach.
Mein Fazit
Der Roman »Ein Sommer am Ufer des Dnjepr« ist ein vortreffliches Buch der anspruchsvollen Belletristik. Der Autor hat einen stimmigen Ton gefunden, um die Leichtigkeit der jugendlichen Sommer-Story mit der Schwere der tatsächlichen Geschichte zu kombinieren.
Für mich ist dieses Buch ein Jahreshighlight in der deutschen Unterhaltungsliteratur, und ich bin mir sicher, dass wir mehr von dem Autor hören und lesen dürfen.
Meine Bewertung
Hinweis: Werbung - Rezensionsexemplar | Vielen Dank an den Mitteldeutschen Verlag für das Leseexemplar!
ISBN: | 978-3-96311-880-7 |
Sprache: | Deutsch |
Ausgabe | Taschenbuch |
Seitenzahl | 240 |
Verlag | Mitteldeutscher Verlag |
Erscheinungsdatum: | 26.05.2024 |
Eine feine Erzählung über Freundschaft, Musik und die Liebe