Wandernde Himmel

von Hao Jingfang

Wandernde Himmel von Hao Jingfang | Buchcover

Zwei Gesellschaften und eine große Frage: Wie wollen wir leben?

2096: Die Erde hat eine Kolonie auf dem Mars gegründet, um neuen Lebensraum zu erschließen. Doch die will unabhängig sein: Während die Mars-Bewohner den Raubtierkapitalismus der Erde verdammen, halten die Erdenmenschen den roten Planeten für ein System unkontrollierter Alleinherrschaft. Zur Verständigung zwischen den Völkern sendet der Mars hundert Jahre später einige Jugendliche auf die Erde – darunter auch die kürzlich verwaiste Luoying, eine Enkelin des Mars-Machthabers. Ihr Bruder bleibt zurück. Fünf lange Jahre dauert es, bis die nun erwachsene Frau den loyalen und erfolgreichen Rudy in der roten Heimat wiedersieht. Die Weltenwanderin Luoying muss sich entscheiden: Für oder gegen das starre System – mit möglicherweise tödlichen Konsequenzen nicht nur für sie selbst.

Auszug des Klappentexts

Solide Grundidee, die nur mittelmäßig literarisch umgesetzt wurde

Der etwas andere Sci-Fi-Roman

Science Fiction lese ich normalerweise selten. Der Roman „Wandernde Himmel“ hat mich jedoch wegen seiner Grundidee angesprochen, die das Genre auf eine realistischere Weise bedient und auf extraterrestrischen Firlefanz wie Aliens, Wurmlöcher und Warp-Antriebe verzichtet. Vielmehr spielt Technik eine eher untergeordnete Rolle und könnte so wie beschrieben in ein- bis zweihundert Jahren Realität sein.

Die Handlung

Die Menschen haben den Mars besiedelt und dort trotz und gerade wegen der lebensfeindlichen Umgebung eine streng geregelte Gesellschaftsform etabliert. Diese steht der auf der fernen Erde entgegen, wo es nach verschiedenen Krisen und Konflikten eher chaotisch zugeht. Zwischen den Planeten kam es mehrere Jahrzehnte vor Beginn der Geschichte zu einem Krieg, den der Mars gewonnen hat. Inzwischen ist Frieden eingekehrt, und der Mars sendet zu Zwecken der Versöhnung und Verständigung eine Handvoll Jugendliche zur Erde. Nach fünf Jahren kehren diese zurück und sehen sich gezwungen, in der rigiden Gesellschaft auf dem Roten Planeten wieder Fuß zu fassen.

Wir begleiten als LeserInnen die Hauptfigur Luoying durch diese Welt und nehmen dank detaillierter Beschreibungen ihrer Gefühle und Gedanken teil an dem tief empfunden Zwiespalt, den ihre Kenntnis beider Planeten bei ihr verursacht. Auf der Erde ist sie einige Dutzend Male umgezogen, hat auf fast allen Kontinenten gelebt und die Menschen und ihre Umgebungen erlebt. Oft wird der Begriff „Freiheit“ während ihrer Erinnerungen an die fünf Jahre auf der Erde verwendet und als Gradmesser für die Lebensumstände auf dem Mars verwendet. Bekannte und nie hinterfragte Prozesse werden deshalb in Frage gestellt, zum Beispiel: Zwar können die Heranwachsenden sich für bestimmte berufliche Laufbahnen entscheiden, trotzdem bestimmt das System in vielen Bereichen über ihren Lebensweg.

Im weiteren Verlauf der Handlung von „Wandernde Himmel“ mehrt sich der Unmut unter Luoying und ihren Freunden. Verschärft wird das Dilemma für die junge Frau durch ihren Bruder Rudy, der dem System loyal gegenübersteht und in dessen Hierarchien nach Höherem strebt. Gegen Ende des Romans bricht sich die Unzufriedenheit der jungen Menschen in Form einer Rebellion ihre Bahn. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten.

So öde wie der Mars

„Wandernde Himmel“ hat mir mit seinem Buchcover und dem Klappentext mehr versprochen, als es halten konnte. 750 Seiten bieten ausreichend Platz, um die Gesellschaftsformen auf dem Mars und rückblickend auf der Erde detailliert zu beschreiben. Nachdem ich das Buch ausgelesen habe, ist bei mir von beiden Planeten nur wenig der sozialen Verflechtungen und der Lebensumstände hängengeblieben. Und so können Luoyings Erfahrungen aus meiner Sicht nicht ausreichend dafür herhalten, dass ihre Rückkehr und die ihrer Gefährten einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel auf dem Mars auslöst.

Während sich die Autorin seitenweise über die Selbstzweifel und die Zerrissenheit der jungen Menschen auslässt, bleiben die äußeren Umstände ziemlich unscharf. Luoyings Leben auf der Erde wird praktisch kaum beschrieben, und auf dem Mars mäandert sie durch ein vermeintlich streng vorgegebenes Leben, das dann doch nicht so starr ist, wie es an anderer Stelle beschrieben wird: Da stehlen die jungen Menschen ein Flugzeug für einen Abstecher in die Wüste und werden dafür mit einer vierwöchigen Trennung bestraft – na ja.

Alles, was zwischen den Menschen auf dem Mars geschieht, ist durchgehend farb- und konturlos. Trotz der intensiven Beschreibungen der Gedanken der Protagonisten kann ich sie nicht greifen und mit ihnen fühlen, so als ob man ihr Tun hinter einer gepanzerten Scheibe verfolgt. Manche Reaktionen und Handlungen verursachten bei mir mehrfach Fragen wie: Warum macht sie das jetzt? Habe ich irgendwas überlesen? Müsste jetzt nicht mal jemand ausrasten?

Genauso geht es mir mit den größeren Themen, die das Grundgerüst dieses Romans darstellen. Die Gesellschaftsform auf dem Mars wird so schwammig beschrieben, dass ich sie nicht einordnen und weder schlecht noch gut finden kann.

Mein Fazit: Die Autorin traut sich nicht

Im Nachwort zum Roman „Wandernde Himmel“ erzählt Hao Jingfang von ihrem steinigen Weg in die Welt des Schreibens. Begleitet von Selbstzweifeln und sogar Depressionen entwickelte sich die Arbeit als Autorin zu einer therapeutischen Tätigkeit. Sie unterstreicht in ihren eigenen Worten, dass sie das Schreiben nie gelernt habe. Ein wenig schwingt sogar so etwas wie eine Entschuldigung in diesen Worten mit. Mein Respekt für ihre Offenheit.

Dennoch geht es hier um den Roman „Wandernde Himmel“. Die Grundidee ist super. Ich wünschte, die Autorin hätte den Mut besessen, die Systeme stärker zu kritisieren und Brücken zum Hier und Heute zu schlagen. Vielleicht hatte sie das tatsächlich im Sinn, und ihre Intentionen sind der Zensur zum Opfer gefallen.

So schwebt aber über allem das Gefühl des „Och, ich weiß nicht recht …“ – bei den Protagonisten, bei den Gesellschaftsformen, bei den Handlungen. Schade.

Meine Bewertung

2-Sterne-Bewertung der Buchleserin
Hinweis: Keine bezahlte Werbung
ISBN:978-3-499-27418-3
Sprache:Deutsch
AusgabeTaschenbuch
Seitenzahl752
VerlagROWOHLT Taschenbuch
Erscheinungsdatum:25.09.2018

Der etwas andere Sci-Fi-Roman

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