Das Flüstern der Bienen
von Sofía Segovia
Eine Prise Magie und der Duft von Honig
In Linares erzählt man sich noch immer von dem Tag, an dem die alte Nana Reja ein Baby unter einer Brücke gefunden hat. Von einem Bienenschwarm umhüllt, erweckt der kleine Simonopio zunächst Misstrauen bei den abergläubischen Dorfbewohnern. Doch die Gutsbesitzer Francisco und Beatriz Morales nehmen den wilden stummen Jungen bei sich auf und lieben ihn wie ihr eigenes Kind. Während die Spanische Grippe die Region trifft, und um sie herum die mexikanische Revolution wütet, lernen sie Simonopios Gabe zu vertrauen und können die Familie so vor dem größten Unheil bewahren. Doch nicht alle Bewohner der Hacienda meinen es gut mit dem Jungen …
Auszug des Klappentexts
Eine Familiengeschichte mit einem Hauch von Magie
Warum ich das Buch gekauft habe
Das Buch „Das Flüstern der Bienen“ hat mich beim Stöbern in der Buchhandlung aufgrund seines Covers angesprochen. Die zeichnerische Darstellung der Orangen, der Blätter und der Bienen liegt ganz im Trend aktueller Coverdesigns (wie bei „Alte Sorten“, „Ein Traum von einem Baum“) und verführte auch mich zum Zugreifen. Und dann verspricht der Klappentext „ein Buch voller Lebensfreude und Hoffnung“ sowie ein „großes Lesevergnügen“.
Der Fund des kleinen Simonopio, der stets von einem Schwarm Bienen umhüllt ist und dem ein tiefgehendes Verständnis für die Natur innewohnt, klingt nach einem Roman mit einer Prise Magie und einem mystischen Touch. Genau meins, dachte ich.
Ein paar Worte zum Inhalt
Die Autorin zeichnet in dem Roman „Das Flüstern der Bienen“ durchgehend vom Beginn bis zum Ende ein detailliertes Bild der Familie Morales, die sich des Findelkinds annimmt, eingebettet ins Mexiko um das Jahr 1920.
Die Familie genießt hohes Ansehen und steht wirtschaftlich gut da, nicht zuletzt durch den erfolgreichen Anbau von Zuckerrohr auf den eigenen Plantagen. Die Angestellten und Landarbeiter sind bis auf eine Ausnahme den Morales wohlgesonnen, zumal sie auf ihnen zugewiesenem Land leben und auch selbst im geringen Umfang Landbau betreiben dürfen.
Durch seine übernatürliche Fähigkeit, Dinge vorauszusehen, gelingt es dem Jungen, schlimme Dinge von seinen Zieheltern abzuwenden. Zu viel will ich hier jedoch nicht verraten.
Der Schreibstil
Sofía Segovia nimmt sich für die Vorstellung der Charaktere, die Beschreibung ihrer Beziehungen zueinander und ihr Umfeld im Ort Linares ausgesprochen viel Zeit. Jedes Kapitel rückt jeweils ein Familienmitglied in den Fokus und gewährt Einblick in die Gedankenwelt und Motivationen der Protagonisten. Zum überwiegenden Teil ist die Familiengeschichte im auktorialen Stil erzählt, so dass der Leser detailliert über Simonopio, seine Adoptiveltern, Nana Reja, die ihn gefunden hat, sowie weitere Familienmitglieder informiert wird. Die einzige Abweichung vom genannten Stil stellen die Kapitel dar, in denen der jüngste Sohn Francisco in der Rückschau aus der Ich-Perspektive erzählt.
Zu Beginn hat mich der Schreibstil der Autorin durchaus gefangengenommen. Ich ließ mich ein auf die Beschreibung einer schwierigen Zeit in einem aufgewühlten Land, das von der Spanischen Grippe und der Mexikanischen Revolution gebeutelt ist. Diese Ereignisse haben auch ihre Auswirkungen auf das Leben der Familie, so dass ihr Dasein nicht isoliert vom Weltgeschehen erscheint.
Trotz der detailverliebten Beschreibung der Geschehnisse und der Charaktere schlich sich nach etwa einem Drittel eine Zähigkeit in den Lesefluss ein, die mein Lesevergnügen massiv ausbremste. Die Gefühlswelt der wichtigsten Personen wurde bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet und ausgebreitet und leider auch erschreckend oft wiederholt, ohne weiter an Tiefe zu gewinnen. Der oben erwähnte auktoriale Erzählstil driftete in eine Art Familienchronik ab.
Direkte Rede, also der verbale Austausch, umfangreiche Dialoge zwischen den Menschen kamen eindeutig zu kurz. All das ließ diese konturlos und zu wenig greifbar werden. Ich will nicht sagen, dass sie mir unsympathisch waren, dennoch konnte ich mich emotional nicht so auf sie einlassen, dass ihr Leben und Leiden mich tief berührte.
Im krassen Gegensatz zur Detailverliebtheit hinsichtlich Familie steht der dünne Unterbau des sozialen Umfelds und der historischen Gegebenheiten. Ja, die Grippe und die Revolution werden thematisiert. Aber wie ist das Leben in Linares für die weniger gut betuchten Menschen? Wie leben sie? Das 480 Seiten starke Buch hätte auf den recht klein bedruckten Seiten das Potenzial für ein farbenfrohes Sittengemälde der 1920er Jahre im ländlichen Mexiko gehabt, doch der Autorin fehlen dafür der Platz und die Farben. Stattdessen ergeht sie sich in redundanten Wiedergaben der Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren.
Ab der Hälfte habe ich begonnen, im steilen Winkel diagonal zu lesen. Es kam dann doch noch zu dem einen oder anderen dramatischen Ereignis. Jedoch waren auch diese absehbar und wurden furchtbar in die Länge gezogen. So kam es, dass ich ungefähr 300 Seiten geradezu überflogen habe, das mag ich eigentlich gar nicht. Doch nach dem Lesen weiterer Rezensionen und Zusammenfassungen habe ich nicht das Gefühl, inhaltlich oder stilistisch etwas verpasst zu haben.
Mein Fazit
Es tut mir immer leid, solche Rezensionen zu schreiben. Auch in diesem Buch steckt viel Herzblut der Autorin, und gewiss gibt es Leserinnen und Leser, die sich gern in der epischen Breite dieser Familiengeschichte verlieren.
Auch für mich hätte „Das Flüstern der Bienen“ vom ersten Eindruck an – Cover und Klappentext sprechen dafür – ein wundervoller Roman voller Emotionen und Magie sein können. Das Versprechen wurde leider nicht gehalten.
Meine Bewertung
Hinweis: Keine bezahlte Werbung
ISBN: | 978-3548-06601-1 |
Sprache: | Deutsch |
Ausgabe | Taschenbuch |
Seitenzahl | 480 |
Verlag | Ullstein Taschenbuch Verlag |
Erscheinungsdatum: | 28.04.2022 |
Eine Familiengeschichte mit einem Hauch von Magie