Dreizehnfurcht

von Wieland Freund

Dreizehnfurcht von Wieland Freund | Buchcover

In Dreizehneichen gehen die Uhren buchstäblich anders…

Momme Bang hat panische Angst vor der Zahl 13. Dann wird er ausgerechnet in einen verborgenen 13. Bezirk Berlins gelotst und landet in einer merkwürdigen Zeit, in der alle Errungenschaften der Moderne abgelehnt werden. Doch hinter der traditionalistischen Fassade dieses bizarren in der Zeit eingefrorenen Berliner Stadtteils tobt ein Machtkampf, und Momme findet sich im Zentrum einer Verschwörung wieder …

Auszug des Klappentexts

Eine originelle Idee mit Schwächen in der Umsetzung und trotzdem lesenswert

Ein paar Worte vorweg

Mit „Dreizehnfurcht“ hat der preisgekrönte Autor Wieland Freund seinen neuesten Roman veröffentlicht, welcher direkt mit dem Label „Spiegel Bestell-Autor“ dekoriert wurde. Bisher hat er hauptsächlich für Kinder und Jugendliche geschrieben. Mit dem neuen Fantasy-Roman hat er den Einstieg in die Erwachsenenliteratur vollzogen.

Bei Neuerscheinungen halte ich immer Ausschau nach detailreichen, bildgewaltigen Geschichten, welche sich gern etwas abseits des Mainstreams bewegen.
Nach dem Lesen von „Dreizehnfurcht“ muss ich darauf hinweisen, dass dieser Roman kein klassischer Fantasy-Roman ist. Wenn man das im Hinterkopf behält, wird man sprachgewaltig entführt in eine Geschichte, welche indirekt zwei Zeitebenen bespielt. Das macht u. a. den Reiz aus, zu lesen wie der Verfasser das Gestrige und Heute miteinander korrelieren lässt. Diese Weltengestaltung bietet zahlreiche Möglichkeiten für einen interessanten Plot. Und so wurde die Geschichte im Laufe der fortscheitenden Handlung etwas fantasiereich, geheimnisvoll, nostalgisch und auf jeden Fall anders als erwartet.

Gegenwart trifft auf Vergangenheit

Einer der Hauptprotagonisten der Geschichte ist Moritz Bang alias Momme. Momme führt ein trostloses Leben im schnelllebigen, leistungsorientierten und technisierten Berlin. Sein Nachname ist Programm: Mommes gesamtes Dasein wird von seiner ausgeprägten Panik vor der Zahl 13 gesteuert, der „Dreizehnfurcht“. Durch einige Verführungen und Fügungen gelangt er nach Dreizehneichen, den verborgenen 13. Bezirk Berlins. Hier sieht er sich unvermittelt mit einem ganz anderen Leben, der 13. Stunde und einer Verschwörung sowie mit dem bereits tobenden Machtkampf des Stadtteils konfrontiert. Wird es Momme hier gelingen, seine „Dreizehnfurcht“ zu überwinden und sich dabei nicht hineinziehen zu lassen in die Strudel dieses Bezirks?

Ein paar Zeilen zur Story

Der Einstieg ins Buch gelang mühelos, und der Start in die Geschichte war wirklich gelungen. Der Autor hat sich Zeit genommen, die Figur Momme passend zu seinen Besonderheiten auszugestalten. Detailreiche Beschreibungen dieses von Zwang und Melancholie umwölkten Charakters und seines bisherigen Lebens haben einen direkten Zugang zur Figur geschaffen. Ich mochte den spleenigen Außenseiter zu Beginn sofort.

Doch dann geschah es, völlig unvermittelt geriet der Lesefluss ins Stocken: Dreizeheneichen öffnet seine Pforte. Jetzt brauchte ich etwas „Einlese“-Zeit, um zurück in meinen Leserhythmus zu finden. Der antiquierte Schreibstil wurde als literarisches Stilmittel eingesetzt, um die Besonderheit des beschriebenen Orts Dreizehneichen zu unterstreichen. Dem Ort, wo die Uhren anders ticken, so auch die Sprache, das Leben und gesellschaftliche Miteinander. Dreizehneichen soll als Metapher für das ewig Gestrige verstanden werden, mit all seine Schwächen und Vorteilen.

Trotz allem gelingt dem Autor das Kunststück, beide Welten eindrücklich auszugestalten, Vor- und Nachteile zu benennen, dabei nicht direkt zu bewerten. Diese Konfrontation des technisierten Heute mit dem rückständigen Gestern, regt, neben dem Handlungsverlauf, zusätzlich zum Nachdenken an. War damals alles besser oder schlechter? Worauf könnte ich verzichten?
Hier muss ich einwerfen: Jederzeit warmes Wasser aus der Wand fließen lassen zu können, ist eine Errungenschaft, die man viel zu selten würdigt. 😊

Nach und nach betreten weitere Charaktere die Bildfläche, passend zur Entwicklung der Geschichte, und begleiten den Leser bis zum Showdown. Diese Personalien sind wenig greifbar und bleiben mir fremd. Zum Glück erwacht am Ende des dritten Abschnitts Momme kurzzeitig aus seiner fast lethargischen Bedeutungslosigkeit und beginnt zu realisieren, dass er kein Statist in der Geschichte ist und auch nicht zum Spielball der Mächtigen taugt. Mehr will ich nicht verraten.

Wenn der Kniff verpufft

Der gewählte Weg, über die Andersartigkeit der Sprache den Bezirk Dreizehneichen abzugrenzen, war ein wohlüberlegter literarischer Kniff, doch leider verpuffte für mich die Wirkung und das opfert nebenbei auch einen Teil der Magie des Plots und der Spannung des Romans.
Wenn beim Lesen die Gedanken abschweifen, man das Buch gut zur Seite legen kann und das Kribbeln im Bauch und die Überlegungen fehlen, was man alles zackig erledigen könnte, um schnell weiterlesen zu können, dann fehlt dem Buch die nötige Spannung, Magie – eben das gewisse Etwas.
Und: Für mich hat das Lektorat versagt. Dieser Verlust der Spannung und all meine kritischen Aspekte kreide ich nicht dem Autor an. Er ist dafür zuständig, die Geschichte auszugestalten, seine kreativen Ideen in Wörter zu packen und im Überfluss zu agieren.
Das Lektorat hat für mich die Aufgabe, seine schier unbändigen gedanklichen Fluten in lesbare und spannungsgeladene Kanäle zu lenken. Hier gehören eindeutig Streichungen und Straffungen, so schmerzhalft diese für jeden Autor sein mögen, und kritisches Hinterfragen à la „Geht der Satz auch kürzer?“ oder „Ist die Figur richtig ausgearbeitet?“ dazu.
Es schmerzt mich fast dies anzusprechen, aber hier hätte es so viel Potenzial gegeben, und „Dreizehnfurcht“ wäre zu dem Pageturner avanciert, den diese fantasiereiche Story verdient hätte.

Fazit zum Buch

Starker Start, ein schwächelnder Mittelteil, teilweise zu langatmig und zu Lasten der Spannung, und das Beste kommt zum Schluss. Leider nicht. Ich hatte so gehofft, dass die Geschichte im letzten Abschnitt richtig Fahrt aufnimmt und zeigt, was hätte sein können.
Natürlich wurde es zum Showdown hin wieder spannender, so folgten einige überraschende Wendungen, und die Ideen zum Handlungsablauf sind als gelungen zu bezeichnen. Doch für mich zündete es nicht mehr, und so treibt mich dieses Buch wahrlich um.
Dieses Buch macht es mir schwer: Zum einem möchte ich es bejubeln für seinen Ideenreichtum und Andersartigkeit, und zum anderen frage ich mich immer wieder, was stimmt hier nicht. Ich schwanke zwischen Begeisterung und Frust. Frust deshalb, weil die Figuren zwar passend ausgestaltet waren, dabei jedoch überraschend konturlos blieben und ihnen die emotionale Tiefe fehlte. Momme wandelte quasi wie ein Geist durch die Geschichte.

Das Ende war zwar schlüssig, aber nachdem im Mittelteil derart viel Zeit für Beschreibungen etc. aufgewendet wurde, war das Ende für meinen persönlichen Geschmack schlichtweg zu kurz und fast lieblos abgehandelt.

Als Journalist und erfahrener Schriftsteller versteht Wieland Freund sein Handwerk. Deshalb beherrscht er spielend den Archaismus und schreibt ansonsten wortgewandt und atmosphärisch, wenn gleich seine Figuren unnahbar waren.
„Dreizehnfurcht“ ist ein ideenreicher, bildgewaltiger und durchaus ungewöhnlicher Fantasy-Roman, der einige Schwächen in sich trägt. Deshalb ist das Buch zwar kein Pageturner, aber eines mit einer besonderen Note.

Sucht man eine anspruchsvolle Fantasy-Geschichte mit einer nostalgischen Note und der Anregung zum Nachdenken, dann wird man mit diesem Buch fündig.

Meine Bewertung

3-Sterne-Bewertung der Buchleserin
Hinweis: Keine bezahlte Werbung
ISBN:978-3-608-98658-7
Sprache:Deutsch
AusgabeGebundenes Buch
Seitenzahl448
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsdatum:16.09.2023

Wo die Uhren anders gehen …

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