Zierfische in Händen von Idioten

von Manuel Butt

Zierfische in Händen von Idioten von Manuel Butt | Buchcover

Zurück in die wilden 90er Jahre

Sommer ’96: Tobis Eltern verabschieden sich in einen zweiwöchigen Urlaub. Vierzehn Tage, in denen Tobi zum ersten Mal mit Lisa schlafen möchte, die Führerscheinprüfung ansteht und er sich um Papas Seepferdchen kümmern soll. Nichts davon wird klappen.
Lisa macht Schluss, ihr bester Freund Georg nervt, und Tobis unkontrollierbarer Freund Scholzen zieht bei ihm ein. Als Georg eine Nachricht von seiner tot geglaubten Mutter aus London erhält, kapern die vier kurz entschlossen ihr Fahrschulauto. Ohne Geld, ohne Plan, aber dafür mit den Seepferdchen im Kofferraum.

Auszug des Klappentexts

Weder Fisch noch Fleisch – zwischen Coming-of-Age und Roadtrip

Ich stehe auf Roadmovies, die verfilmten genauso wie die geschriebenen. Es spielt dabei eine untergeordnete Rolle, ob der Grundton schwermütig-melancholisch, mörderisch-spannend oder humorvoll-grotesk ist. In jeder dieser Richtungen gibt es hervorragende, zeitlose Werke, ebenso wie unbekanntere Perlen.

Perlentauchen im Büchermeer

Eine solche Perle erwartete ich, als ich in der Buchhandlung nach „Zierfische in Händen von Idioten“ griff. Das Cover hat mich angesprochen, der Titel selbst zauberte mir ein Grinsen ins Gesicht, und der Klappentext war dann ausschlaggebend für den Kauf. Dass einige Comedians auf der Rückseite zitiert wurden, die den Roman in höchsten Tönen lobten, war nur noch Beiwerk.

Back to the nineties

Ohne Umschweife beginnt der Roman in medias res, und der Leser findet sich in der ersten skurrilen Situation der Jugendlichen an einer Tankstelle wieder. Pointierte Dialoge zwischen den äußerst unterschiedlichen Charakteren, unerwartete Ereignisse und eine anständige Portion Action machen Lust auf mehr.

Danach dauert es ein wenig, bis man als Leser in der Rückblende in Tobis Leben und das seiner Freunde hineinfindet, und dabei hilft es wenig, dass ich im Jahr 1996, in dem die Handlung stattfindet, nur wenig älter war als die Protagonisten. Die Neunziger habe ich miterlebt, mit all der seltsamen Mode, auf die der Autor kaum eingeht, und der vielfältigen und äußerst vielfältigen Musikwelt zwischen Grunge und Euro-Dance, die im Plot durchaus nicht zu kurz kommt. Die Nennung und Wiederholung einiger Songs sind dann auch für mich das Einzige, das eine erlebbare Verbindung zu der Dekade herstellt. Mein Gefühl in der Erinnerung ist trotzdem ein anderes als das, welches der Roman hervorruft, ungeachtet der Geschehnisse. Gut, kommt vielleicht auch darauf an, wo man aufgewachsen ist.

Wenn der Funke nicht sofort überspringt

Der Klappentext von „Zierfische in Händen von Idioten“ fasst prinzipiell den Handlungsverlauf bereits zusammen. Wie gesagt, vor der Reise des jugendlichen Quartetts nimmt sich der Autor relativ viel Zeit, um die Protagonisten und ihre Verbindungen untereinander vorzustellen und mit ihnen warm zu werden. Auch wenn Tobi zuerst auf dem Buchdeckel genannt und so der Eindruck erweckt wird, es handele sich vorrangig um seine Geschichte, so wechselt der Autor während des gesamten Romans immer wieder einmal die Sichtweise, selbst innerhalb der einzelnen Kapitel. Mal wird beschrieben, was Scholzen denkt, dann erhalten wir Einblick in Georgs Gedankenwelt, … Das macht es für mich schwer, mich auf die eine Person zu konzentrieren und mich hineinzufühlen. Prinzipiell sind solche Wechsel zwischen Kapiteln okay, aber in so kurzen Abständen wirkt diese Herangehensweise ein wenig hilflos. In solchen Konstellationen finde ich es schöner, wenn die Motivationen und Gefühle der „Mitspieler“ des Hauptakteurs durch Gesten und Worte wiedergegeben werden.

Buddies meet road trip

Auf dem Weg quer durch Norddeutschland, die Niederlande und bis hinüber nach London passieren einige überraschende Dinge, die die Reise mitunter fast scheitern lassen. Es ist dem Einfallsreichtum aller Beteiligten und oft dem Zufall zu verdanken, dass es für diese Probleme immer wieder eine Lösung gibt, meist unkonventionell, einfallsreich und hin und wieder zum Schmunzeln. Anfangs knirscht es zwischen einigen der Reisenden ganz gehörig, doch die Herausforderungen schweißen sie immer fester zusammen.

Und das Ende?

Während der Beginn nach dem ersten Kapitel etwas schwer in die Gänge kommt, so hat das letzte Drittel ein paar Längen, die mich einige Passagen haben ungewöhnlich rasch überfliegen lassen. Das Ende hingegen kam für mich dann etwas zu kurz. Es bleiben zwar kaum Fragen offen, dennoch hätte ich mir noch ein oder zwei Kapitel gewünscht, in denen die Angelegenheiten zwischen den vier Jugendlichen und anderen Figuren – den Eltern, den zufälligen Begegnungen auf der Reise – zumindest ein Stück weit fortgeführt werden.

Was schön ist: Zwischen den abgefahrenen Ereignissen blitzen hier und da Gedankengänge und Betrachtungen auf wie die Sonne zwischen dahinjagenden Wolken, sei es durch Dialoge oder das Eintauchen in den Kopf eines Charakters, die einfach schön sind. Die hinter dem Buchtitel „Zierfische in Händen von Idioten“ steckende Metapher ist davon nur eine.

Mein Fazit zur Story

Der versprochene wilde Ritt durch die Neunziger ist es nicht, und für herzliches Gelächter, wie das Lesen des Romans es bei einer der oben genannten Komikerin verursacht hat, hat es ebenfalls nicht gereicht. Dennoch ist „Zierfische in Händen von Idioten“ unterhaltsam, witzig, bisweilen nachdenklich und verleitet eben auch zu einer gewissen Portion Nostalgie.

Meine Bewertung

Hinweis: Keine bezahlte Werbung
ISBN:978-3-0369-5003-7
Sprache:Deutsch
AusgabeGebundenes Buch
Seitenzahl384
VerlagKein & Aber
Erscheinungsdatum:14.03.2023

90er Jahre Roadtrip trifft auf Coming-of-Age

4 Comments

  1. Hallo liebe Doreen,

    so kann es gehen. Ich habe den Klappentext gelesen und war begeistert. Dann aber habe ich dein Fazit gesehen und gedacht, „schau mal, wie die Dinge auseinandergehen können“. Danke für die wieder einmal tolle Rezension und auch, dass du so kritisch mit deinen Büchern bist. Es gibt ja leider auch Blogs, auf denen ist jedes Buch einsame Spitze, einfach nur klasse und unbedingt empfehlenswert. Sorry, aber dann brauche ich gleich mal gar keine Rezension mehr, denn dann kann man auch einfach nur schreiben: Sie sehen hier 17 Bücher und sie sind alle toll! Nein, dann lieber so wie du es machst.

    Ich mag und schätze deinen Blog,

    liebe Grüße
    Giannis

    1. Lieber Giannis,

      dein Feedback freut mich und beruhigt mich sehr. Jedes Mal, wenn ich ein Buch kritischer besprechen muss, mache ich mir meine Gedanken. Bin ich zu kritisch? Warum hat mir dieses oder jenes nicht gepasst? Immerhin haben hier auf dem Buchdeckel einige durchaus bekannte Comedians einen fast überschwänglichen Eindruck formuliert, und ich war dennoch nicht total begeistert. Was stimmt nicht mit mir? Aber es ist so, die Leseempfindungen sind verschieden und immer 5-Sterne-Bewertungen kann es einfach nicht geben, schließlich werde ich nicht dafür bezahlt und darf ehrlich sein. 🙂

      Ganz liebe Grüße
      Doreen

      1. Hallo liebe Doreen,

        meiner Meinung nach machst du das alles hier genau richtig. Ich will nicht hören oder wissen was andere von einem Buch denken. Ich will deine Meinung hören., denn deswegen bin ich hier und auf deinem Blog!

        Und ja, wenn jedes Buch nur: „unbedingt empfehlenswert“, „einfach grandios“, „toll“, „klasse“ und „wunderbar“ wäre, dürfte des diesen Blog gar nicht geben!

        Meinungen und Geschmäcker sind eben verschieden und das ist auch gut so. Beim Fotografieren ist es doch ganz ähnlich. Ich liebe schwarzweiß Fotos, mag auch den Akt mal gerne. Meine Mutter konnte mit beidem nicht viel anfangen und sah Dinge darin, die ich nicht erblickte.

        Also bitte, bitte weiter so!
        Ich find deine Seite und dich als Menschen tol!

        Liebe Grüße

        1. Lieber Giannis,
          deine Nachrichten sind immer so wundervoll zu lesen. Malen mir jedes Mal ein großes Lächeln ins Gesicht. Danke dafür!
          Es ist so wichtig, die Unterschiede im Leben zu feiern, aber dabei nie die Wertschätzung für die Leistungen anderer – wie das Schreiben eines Buchs oder das Schaffen von Fotokunst – zu vergessen. Leider bemerkt man in der heutigen Gesellschaft eine stetige Veränderung des Tons. Selten zum Guten, sodass uns öffentlich Schreibenden eine essenzielle Aufgabe zuteilwird. Mit gutem Beispiel voranzugehen. Das setzt du mit deinem Blog hervorragend um!
          Danke, dass du so ein treuer Begleiter meines Blogs bist!
          Liebe Grüße

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